10.07.2014 -
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
die Beratungen für ein Bundesteilhabegesetz zur Reform der
Eingliederungshilfe sind nun in eine entscheidende Phase eingetreten.
1. Vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales war bereits im April
eine Fachexperten-Arbeitsgruppe eingerichtet worden, um die wichtigsten
Problempunkte der Reform aufzuarbeiten. An dieser
Fachexperten-Arbeitsgruppe, die noch bis Ende August tagen wird, ist auch
die BAG SELBSTHILFE beteiligt. Parallel dazu tagt jeweils eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu den entsprechenden Themen.
In der ersten Sitzung der Fachexperten-Arbeitsgruppe wurde lange und
intensiv über den Behinderungsbegriff bzw. den berechtigten Personenkreis
für die Eingliederungshilfe diskutiert. Fest stehe, dass trotz einer
UN-BRK-konformen Definition von Behinderung weiterhin eine Begrenzung beim
Kreis der Leistungsempfänger erfolgen müsse. Vorstellbar sei, den Begriff
der Behinderung durch Teilhabe zu ersetzen und die Formulierung �wesentlich
eingeschränkt“ durch „nicht nur geringfügig eingeschränkt.“ Schwierig sei es
aber zu beurteilen, auf welchen Umstand abgestellt werden müsse: auf die
Teilhabeziele, auf einen Vergleich mit Nichtbehinderte, auf die konkrete
Bedarfsfeststellung, an bestimmte ICF-Merkmale? Problematisch ist dies vor
allem auch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot einer gesetzlichen Norm,
was eine zu „offene“ Formulierung verbietet. Erwartungsgemäß ist man in der
Runde zu keinem endgültigen Vorschlag gekommen.
Was die geforderte Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit angeht, so sei
damit zu rechnen, dass es nicht zu einem kompletten Wegfall kommen werde.
Herr Dr. Schmachtenberg vom BMAS war sich darüber im Klaren, dass die
Betroffenen bzw. ihre Verbände nicht von ihrer Forderung abrücken werden.
Dennoch bat er um Mitteilung, in welchen Bereichen die Teilnehmer in erster
Linie Veränderungen fordern. Genannt wurde hier vor allem die bisherige
Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Ehepartners oder auch der Kinder
von Beziehern von Eingliederungshilfe. Auch der Bereich Teilhabe am
Arbeitsleben wurde genannt. Ebenso sei eine Anhebung der Freibeträge bzw.
Vermögensgrenzen denkbar. Wichtig war den Teilnehmern die Abkehr vom
Sozialhilfecharakter der Leistung, damit zusammenhängend auch die Abkehr von
der bisherigen Verfahrensweise, die vom Leistungsberechtigten eine
vollkommene Offenlegung seiner persönlichen, insbesondere finanziellen
Situation verlangt. Die besondere Problematik im Zusammenhang mit der
Schnittstelle zur Pflege bzw. zur Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII (damit
zusammenhängend auch die Frage der Altersgrenze) müsse nochmals im
Zusammenhang mit dem entsprechenden Tagesordnungspunkt diskutiert werden,
der an diesem Tage aus zeitlichen Gründen nicht mehr erörtert wurde.
Abschließend ist man noch kurz auf das Thema Beratung eingegangen, wobei die
Teilnehmer insbesondere die „Unabhängigkeit“ der Beratung hervorgehoben
haben. Fraglich sei allerdings, was unter Beratung zu verstehen sei und an
welcher Stelle sie beginne. So müsse zwischen der rein rechtlichen Beratung
über bestehende Ansprüche und der Beratung über die Gestaltung der
persönlichen Lebenssituation unterschieden werden. In dem einen Fall sind
auch haftungsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen, im anderen geht es vor
allem um die Frage, wem der Betroffene vertraut und wem gegenüber er seine
eigenen tatsächlichen Vorstellungen und Wünsche mitteilt, ohne irgendwelche
negativen Konsequenzen fürchten zu müssen.
Im Rahmen der zweiten Sitzung der Fachexperten-Arbeitsgruppe wurde vor allem
das künftige Bedarfsermittlungs- und Bedarfsfeststellungsverfahren erörtert.
Unstreitig sind hier programmatische Generalaussagen wie bspw. die
Personenzentriertheit des Verfahrens. Problematisch ist jedoch, dass der
Bund im Bundesteilhabegesetz den Ländern keine Vorgaben zur Ausgestaltung
des Verfahrens machen darf. Auch zur Zuständigkeit soll nur festgelegt
werden, dass dies die „nach Landesrecht zuständige Behörde“ sei. Es ist
damit zu rechnen, dass dies nach wie vor die Sozialämter seien, was von den
Betroffenenverbänden als inakzeptabel angesehen wurde.
Hinzu kommt, dass nach den Vorstellungen des BMAS zunächst einmal diese
Behörde bei den anderen Rehabilitationsträgern anfragen soll, ob diese sich
als Federführer der Sache annehmen wollen. Meldet sich nach 2 Wochen
niemand, dann soll der Sozialhilfeträger eine Gesamtplankonferenz
einberufen. Hiernach soll jeder Rehabilitationsträger einen
Teil-Verwaltungsakt erlassen, dem dann ein Gesamtverwaltungsakt folgen soll.
Dieses Verfahren wurde von den Betroffenenverbänden als extrem
verzögerungsanfällig angesehen. Stattdessen wurde favorisiert, das
Zuständigkeitsklärungsverfahren nach § 14 SGB IX zulasten der
Rehabilitationsträger zu verschärfen.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Nachfrage des BMAS zu flankierenden
effizienzsteigernden Maßnahmen. Hier wurden vor allem die bestehenden
Reformbedarfe zum SGB IX benannt. Dies betrifft bspw. die Frage, wie eine
unabhängige Beratung organisiert werden soll, wie der Sicherstellungsauftrag
formuliert sein soll, damit vor Ort auch tatsächlich die notwendigen
Leistungen personenzentriert angeboten werden und wie die
Rehabilitationsträger künftig zu einer intensiveren Zusammenarbeit
verpflichtet werden können.
2. Mit dem anliegenden Schreiben vom 11.06.2014 hat die Bundesministerin
für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, ihrerseits die Arbeitsgruppe
Bundesteilhabegesetz einberufen, die von der Parlamentarischen
Staatssekretärin, Gabriele Lösekrug-Möller, geleitet werden wird und die bis
März 2015 tagen soll.
An dieser Arbeitsgruppe werden auch 6 Vertreterinnen und Vertreter der BAG
SELBSTHILFE und ihrer Mitgliedsverbände teilnehmen. Wir werden über den
Verlauf der dortigen Beratungen ebenfalls fortlaufend berichten.
3. Flankierend zu diesen Aktivitäten hat die BAG SELBSTHILFE, vertreten
durch ihren Vorsitzenden, Herrn Langguth-Wasem, und den Geschäftsführer,
Herrn Dr. Danner, am 23.06.2014 einen Gesprächstermin bei der
Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und
Soziales, Anette Kramme, wahrgenommen.
Gegenstand dieses Gespräches waren unter anderem ebenfalls die Reformbedarfe
im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz und dem SGB IX, aber auch
Forderungen der BAG SELBSTHILFE zur Reform des
Behindertengleichstellungsgesetzes, zur Fortschreibung des Nationalen
Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und zur
Verbesserung der Fördersituation für die Selbsthilfe im Bereich des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Martin Danner
Bundesgeschäftsführer
BAG SELBSTHILFE
Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211-31006-49
Fax.: 0211-31006-48
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